Politische Bildung im Strafvollzug: Antidiskriminierungsarbeit
Eingetragen am 23.03.2020
23. März 2020 | By Tabea Perger |
In Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung bringt Leadership Berlin am vierten Montag des Monats eine Führungskraft aus unserem Netzwerk mit inhaftierten Frauen der Sozialtherapeutischen Anstalt der JVA für Frauen in Neukölln ins Gespräch. Unterstützung finden die jeweiligen Referenten durch einen juristischen Input zum jeweiligen Tagesthema.

Bei der Konzeptbesprechung des Projekts wurden die inhaftierten Frauen gefragt, welche politischen und gesellschaftlichen Themen sie am meisten interessieren. Eine der ersten Antworten war: Diskriminierung. So lag es nicht fern, Derviş Hızarcı, Antidiskriminierungsbeauftragter der Senatsverwaltung für Bildung und Vorstandsvorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (und Alumni unseres Leadership Programms 2018), als Referenten einzuladen.
„Was ist Diskriminierung“, lautete seine Einstiegsfrage an die Frauen, die sogleich feststellten, wie vielschichtig das Thema durch die verschiedenen Ebenen der strukturellen oder institutionellen, individuellen oder sprachlichen Diskriminierung ist. Das warf neue Fragen auf: Welche Rolle spielen Vorurteile und wer kann eigentlich wen diskriminieren? Begünstigen Friedenszeiten eine stärkere Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Missständen, wie bspw. Rassismus? Führt eine Liberalisierung des Staates dazu, dass Diskriminierung sich ins Private verschiebt?
Mit Erlassung und Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes 2006 wurde ein rechtlicher Rahmen geschaffen, der die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte in Hinblick auf die Antirassismusarbeit, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, die LGTBIQ Community und weitere Bereiche nicht nur wertschätzt und manifestiert, sondern auch die Weichen für weitere Durchbrüche stellt. Doch wie steht es um Benachteiligungskriterien, die nicht im AGG auftauchen? Wie schwierig es ist, soziale Benachteiligung auszugleichen, berichtete eine Inhaftierte aus eigener Erfahrung. Sie habe – trotz Ausgleichszahlungen für Hartz IV Familien – nie mit auf Klassenfahrt fahren können und sei so als Kind von sozialen Aktivitäten ausgeschlossen gewesen. Das Antragsverfahren habe ihre Mutter abgeschreckt und sie habe noch nicht die Eigenständigkeit gehabt, selbst aktiv zu werden.
Mit konkreten Hinweisen zu Rechten und Pflichten bei Bewerbungsgesprächen, gab er den Frauen einige praktische Tipps für aktuelle und zukünftige Situationen mit auf den Weg. „Stellen Sie sich mal vor, Sie wären die Chefin eines Unternehmens und erhalten 50 Bewerbungen. Nach welchen Kriterien würden Sie einstellen?“, lud der studierte Politik- und Geschichtslehrer Derviş Hızarcı die Frauen zum Perspektivwechsel ein und entfachte damit eine intensive Diskussion über die Qualität verschiedener Straftaten, die Vorzüge erschlagender Ehrlichkeit oder dezenter Zurückhaltung und nicht zuletzt über die Frage, wie sich das Verhältnis zwischen Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in bestenfalls gestalten sollte.
Wir danken der Landeszentrale für politische Bildung für die Unterstützung des Projekts, der SothA Neukölln und insbesondere der Leiterin Sabine Hüdepohl für die Zusammenarbeit, den Referenten Derviş Hızarcı für die anregenden Einblicke und allen Teilnehmerinnen für das rege Interesse.
